Patrick Frey – Das anschwellende Sehnsuchtspublikum von Patti Smith
«Als mich Dominik Bachmann fragte, ob ich damals beim ersten Konzert von Patti Smith dabei gewesen sei und ihm davon erzählen könne, sagte ich, nein, da sei ich noch in einem hochalpinen Internat gewesen; dass ich mich aber an ein sehr schönes späteres Konzert von Patti Smith in der Roten Fabrik erinnere, das 2010, draussen am See vor dem Restaurant Ziegel stattgefunden habe, was auch schon wieder 15 Jahre her ist.
Foto: Eric Bachmann
Und ich glaubte, mich zu erinnern, wie Patti Smith damals in ihrem Intro auf das erste, eben dieses legendäre Konzert in der Roten Fabrik 1976 eingegangen war und erwähnt hatte, dass es damals mitten in ihrer Performance gebrannt habe und das Konzert wegen des Brandes abgebrochen werden musste. In Wirklichkeit – so täuscht eben die Erinnerung – war es gar kein Brand gewesen, sondern ein Sabotageakt, ein kleiner, relativ harmloser Anschlag mit Tränengas. Und: Die Aktionshalle musste zwar evakuiert werden, das Konzert ging aber nach einem Unterbruch wieder weiter.
Diese Trübung meiner eigenen Erinnerung, auch hinsichtlich meiner Zeit in einem hochalpinen Internat, die damals schon ein paar Jahre zurücklag, ist aber nicht die wirkliche Pointe dieser Geschichte und auch nicht der Grund, warum Patti Smith sie in ihrem Intro erzählte. Vielmehr, so Patti Smith, habe sie ihr erstes Konzert zwar in fantastischer Erinnerung, es seien aber erstaunlicherweise gar nicht so viele Leute gekommen, das Publikum dieses legendären Abends in der Aktionshalle sei ebenso enthusiastisch wie überschaubar gewesen, habe sich dann aber – jetzt kommt die Pointe – im Laufe der Jahre und der legendären Erzählungen stetig vergrössert. Irgendwann müssten wohl zwischen 500 und 1000, irgendwann sozusagen die gesamte Zürcher Underground-Musikszene, die etwas auf sich hielt, bei diesem mythischen Konzert dabei gewesen sein.
Was es nun aber den wenigen Ehrlichen in all den Jahren relativ einfach machte, die Schwärmer zu entlarven, war die Tatsache, dass der Sabotageakt in der Presse nur am Rande erwähnt und sofort wieder in Vergessenheit geraten war und nach ein paar Jahren nur noch die wirklich Anwesenden davon wussten, während all die anderen, also Patti Smiths anschwellendes Zürcher Sehnsuchtspublikum, mit Tränen in den Augen von jenem überwältigend wunderbaren, vor allem aber gänzlich ungetrübten, tränengasfreien Konzertereignis berichteten, dass sie so gar nie erlebt hatten.»
Patrick Frey ist Autor, Verleger, Schauspieler und Komiker. Nach nicht abgeschlossenen Studien in Ökonomie und Kunstgeschichte arbeitete er als Kunstkritiker und Essayist für Medien wie «Tages-Anzeiger», WOZ, «Parkett», «Wolkenkratzer» und «Artforum». Ab den frühen 1980er-Jahren betätigte sich Frey als Komiker und Schauspieler, schrieb als Autor und Co-Autor zahlreiche Komödien für die Bühne und wirkte auch in verschiedenen Fernsehproduktionen und in diversen Spielfilmen mit. 1986 gründete er die Edition Patrick Frey, einen kleinen internationalen Verlag, der sich auf Kunst und Fotografie spezialisiert hat. Im Laufe der Jahre hat der Verlag an Popularität gewonnen und bis heute über 380 Titel veröffentlicht. Durch sein verlegerisches Wirken hat Frey massgeblich zur Förderung der Werke vieler Künstler:innen und Fotograf:innen beigetragen.