Manon, 4. Oktober 2025
Ich war dort – mit meinem ersten Ehemann Giorgio Frapolli, der das Rolling-Stones-Konzert 1968 im Hallenstadion ansagte. Wir fuhren mit dem Tram nach Wollishofen. An die anderen Besucherinnen und Besucher in der Roten Fabrik erinnere ich mich nicht mehr, es waren wohl junge Leute wie wir.
Patti Smith faszinierte mich vom ersten Moment an – mit ihrer sehr zurückhaltenden Körpersprache und natürlich als Sängerin. Sie zog uns alle in ihren Bann, so sehr, dass wir kaum zu atmen wagten. Unvergesslich bleibt für mich eine im weitesten Sinn hocherotische Szene: Sie zog, bewusst sehr langsam, ihre Jacke aus – nicht mehr als das. Doch der Effekt war so stark, als hätte sie sich nackt ausgezogen. Ich glaube, es wurde sogar geklatscht.
Wie ich von dem Konzert erfuhr, weiss ich nicht mehr. Sicher aber war es Stadtgespräch. Die Sexarbeiterin Lady Shiva und der Künstler Hansruedi Giger waren ebenfalls im Publikum. Giger hatte mich zuvor für ein Titelblatt gemalt, zusammen mit meiner Katze (Minon nannte er das Bild). Gesehen habe ich die beiden an diesem Abend nicht, es war sehr viel Publikum da.
Damals lebte ich in Zürich. In jenem Jahr zeigte ich in den Schaufenstern einer ehemaligen Metzgerei meine Männerschau – noch heute werde ich fast täglich darauf angesprochen. Der Blick titelte damals seitenfüllend: «Manon stellt lebende Männer aus und sagt: Das ist Kunst!» Jahre später wurde die Schau im Kunstmuseum Bern und im Kunstmuseum Basel in Originalgrösse rekonstruiert.
Zuvor war ich erstmals mit dem Lachsfarbenen Boudoir aufgefallen – einer Installation, die später in New York, London und Paris aufgebaut wurde. Im Kunsthaus Luzern hatte ich im Jahr davor die Installations-Performance Das Ende der Lola Montez gezeigt, bei der ich als «Lola» in einem schwarzen Käfig an einen Stuhl gefesselt war (obwohl ich unter Platzangst leide). Das Gehäuse befindet sich heute im Besitz des Kunstmuseums St. Gallen und wurde ebenfalls international gezeigt.
Privatfoto von Sandro Salamandro aus dem Buch Manon 74–77. Aufgenommen im Estrich, den wir damals bewohnten. Der freundliche Verleger Theo Pinkus hatte uns – illegal – Wasser und Strom hochgezogen. Der Strom speiste auch den „Club einsamer Herzen“ ein paar Stockwerke tiefer. Weder sie noch wir wussten davon – und eine Rechnung kam nie.
So sah meine Zeit damals aus: Alles schien neu, frisch, gewagt.
Manon ist eine der bedeutendsten Schweizer Künstlerinnen, bekannt für Performances, Installationen und inszenierte Fotografie. Nach Ausbildungen an der Kunstgewerbeschule und der Schauspielakademie Zürich prägte sie ab 1974 mit Arbeiten wie dem Lachsfarbenen Boudoir das Genre der Kunst-Environments und wurde zu einer der ersten Performance-Künstlerinnen der Schweiz.