Hanspeter Künzler, 21. Juli 2025
Bei einer meiner frühen Visiten in London klemmte Horses im ersten Virgin-Plattenladen der Stadt zuvorderst im Neuheitenregal. Der NME, erstanden mit zwei Wochen Verspätung am Zürcher Bahnhofskiosk, hatte sehr geschwärmt von dem Epos. Das elegante Cover machte den Kauf noch unwiderstehlicher. Zu Hause im Bahnhof Niederglatt erfasste mich Patti Smiths Debütalbum mit voller Wucht. Das zweite Album Radio Ethiopia fand ich dann sogar eher noch spannender. Es war wilder, weniger pathetisch – das Smith’sche Pathos geht mir heute unglaublich auf den Keks – und irgendwie einfach sympathisch. Klar, dass ich sofort zugriff, als die Tickets fürs Konzert in der Roten Fabrik im Oktober 1976 auf den Markt kamen.
«Wenn ich mich recht erinnere, kam das Konzert bei vielen Konzertgänger:innen schlecht oder mindestens mittelmässig an. Das Problem lag darin, dass Patti Smith in Zürich so ziemlich die erste Vertreterin einer neuen Musiker:innengeneration war, die nicht bequem in einer der gängigen Schubladen von Rock – Prog, Blues, Folk oder Glam – abgelegt werden konnten. So tauchten am Zürcher Konzert diverse Gruppierungen auf, die alle ganz bestimmte Erwartungen hatten. Da war die Polit-, die Feministinnen-, die Rock-, die Roxy-Music- oder die Bewegtenfraktion. Für die Politos war Smiths politische Einstellung zu wenig klar einzuschätzen, die Feministinnen verstörte die rockige Musik. Wobei auch noch zu sagen ist, dass das Konzert ja nicht im Zeichen des Debütalbums stand, sondern des sehr viel anarchistischeren, improvisierter daherkommenden Radio Ethiopia.»
Presseunterlagen der Patti Smith Group, erschienen in den 1970er-Jahren in New York.
Hanspeter Künzler ist Journalist und Autor und wohnt in London. Er ist auf Musik, Kunst und Fussball spezialisiert und schreibt unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung und das Schweizer Radio. Künzler hat mehrere Bücher veröffentlicht und über 2000 Interviews mit internationalen Musikerinnen und Musikern geführt.